Gesetzesrecht, Gewohnheitsrecht, Richterrecht >>


Gewohnheitsrecht als Ergänzung des Gesetzesrechts

Die das objektive Recht bildenden Rechtsnormen lassen sich zunächst danach unterscheiden, ob sie in Gesetzesform gegossen sind ("lex scripta") oder ob es sich um ungeschriebenes Gewohnheitsrecht handelt. Im modernen Staat mit effizienter Gesetzgebungsmaschinerie steht das Gesetzesrecht ganz im Vordergrund. Jedoch ist auch dort das Gewohnheitsrecht nicht ganz verdrängt. Der Grund dafür ist letztlich, daß eine noch so gut organisierte Gesetzgebung kein lückenlos regelndes Rechtssystem unter Berücksichtigung aller möglichen Ereignisse erschaffen kann. Außer auf Gesetze bleibt der Rechtsanwender daher auf andere Rechtsquellen verwiesen.

Diese anderen Rechtsquellen sind die rechtlichen Gewohnheiten und Gebräuche des Volkes. Das aus diesen Quellen gespeiste Recht heißt deshalb Gewohnheitsrecht oder Volksrecht. Es hat prinzipiell denselben Verbindlichkeitsgrad wie gesetztes Recht.

Entstehungsvoraussetzung für Gewohnheits- oder Volksrecht ist einerseits eine lange währende Praktizierung einer Verhaltensregel und zum anderen die im Volk verwurzelte Überzeugung von der Rechtsgeltung der Verhaltensnorm. Gewohnheitsrecht sind also nur solche Normen, die über einen langen Zeitraum hinweg im Bewusstsein ihrer Rechtsverbindlichkeit tatsächlich befolgt werden.

Legitimierung des Gewohnheitsrechts durch Gesetz

Bei der Schaffung des BGB Ende des vorvorigen Jahrhunderts ist auch das Gewohnheitsrecht ausgiebig erörtert worden. Der erste Entwurf enthielt noch einen § 2, der ausdrücklich festlegte, daß gewohnheitsrechtliche Rechtsnormen nur insoweit gelten, als das Gesetz darauf verweist. Die Motive (S. 3 ff) relativieren die Bedeutung des Gewohnheitsrechts im modernen Staat und erkennen vor allem die Gefahr der Unterhöhlung des Gesetzes durch das Gewohnheitsrecht und wollen es demgemäß nur ausnahmsweise und dort zulassen, wo der Gesetzgeber es ausdrücklich anordnet.

In den Beratungen des Entwurfs setzte sich dann aber die Auffassung durch, dass das BGB die Frage überhaupt nicht regeln solle, da sich das übereinstimmend Gewollte bereits aus dem Verfassunggrundsatz des Vorrangs des Reichsrechts ergebe (Protokolle S. 8773 f).

Abzugrenzen ist das Gewohnheitsrecht gegen bloße Sitten und Gebräuche. Sie können zwar rechtlich relevant werden, indem das Gesetz in zahlreichen Vorschriften auf sie Bezug nimmt und z. B. in § 138 BGB sittenwidrige Vereinbarungen auch für rechtlich unbeachtlich erklärt oder in § 826 BGB an ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten die Verpflichtung zum Schadensersatz knüpft, sind aber nicht Recht aus eigener Geltungskraft. (Vgl. zur Bezugnahme auf außerrechtliche Normen noch §§ 814,817,819 Abs. 2,1425 Abs. 2,1804 S. 2,2113 Abs. 2 S. 2 BGB.)

Richterrecht

Zu unterscheiden von Gewohnheitsrecht ist auch das sog. Richterrecht. Zwar wird auch die Geltung von Gewohnheitsrecht durch die Gerichte festgestellt. Jedoch entscheidet der Richter nicht über das Bestehen von Gewohnheitsrecht in dem Sinne, dass er es konstituiert, sondern der Richter stellt dessen Existenz eben nur fest, m. a. W., er deklariert es. Richterrecht ist überhaupt nicht als originäre Rechtsquelle anzuerkennen, sondern ist lediglich eine Kompilation richterlicher Entscheidungstätigkeit der Auslegung von Gesetzen, insbesonderer solcher mit interpretationsbedürftigen Begriffen. Richterrecht kann allerdings zu Gewohnheitsrecht erstarken, wenn die Entscheidungspraxis der Gerichte das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung prägt. In den Beratungen über den Entwurf des BGB ist auf diese Quelle von Gewohnheitsrecht ausdrücklich hingewiesen worden (Protokolle S. 8774).


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