Rechtsgeschäft, Vertrag und Willenserklärung >>


Das BGB versteht sich nicht - anders als etwa der französische Code Civil - als doktrinäres Gesetz, das Legaldefinitionen für alle von ihm verwendeten Begriffe gibt. Im Gegenteil übt das BGB hier eine eher zu große Zurückhaltung. Häufig findet man in den Motiven zum BGB den Hinweis, dass die Klärung von Fragen, die mit der Verwendung bestimmter Begriffe zur Kennzeichnung von Rechtsinstituten verbunden sind, der Wissenschaft und Praxis überlassen bleiben soll. So enthält das BGB auch keine Begriffsbestimmungen für die von ihm verwendeten Termini Willenserklärung, Vertrag und Rechtsgeschäft. Aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Regelungen der §§ 104 ff. BGB lässt sich jedoch das folgende zur Inhaltsbestimmung der Grundbegriffe der Rechtsgeschäftslehre entnehmen.

Rechtsgeschäft ist gemäß §§ 104 ff. BGB eine privatautonome Rechtsetzung durch mindestens eine Willenserklärung. Treten die Rechtsfolgen schon wegen einer Willenserklärung ein (wie z. B. bei Rücktritt vom Vertrag), handelt es sich um einseitige Rechtsgeschäfte, für die teilweise besondere Vorschriften gelten (vgl. z. B. §§ 111,174,180 BGB. Macht das Gesetz den Eintritt der Rechtsfolge dagegen von übereinstimmenden Willenserklärungen mehrerer abhängig (z. B. Vertrag gemäß § 311 Abs. 1 BGB), geht es um Verträge, die sich also als zweiseitige oder mehrseitige Rechtsgeschäfte darstellen. Um überhaupt kein Rechtsgeschäft handelt es sich bei einer willensgetragenen Handlung, bei der die Rechtsfolgen nicht deshalb eintreten, weil sie gewollt sind. Ist diese Handlung rechtserheblich, heißt sie - wie erläutert - Realhandlung. In diesem Sinne sind Realhandlung und Willenserklärung Gegenbegriffe. Daraus folgt eine Einteilung für rechtserhebliches Verhalten dahingehend: Die rechtserheblichen Handlungen können Realhandlungen und Rechtsgeschäfte sein, die Rechtsgeschäfte sind wiederum in einseitige Rechtsgeschäfte und mehrseitige Rechtsgeschäfte unterteilt. Von den mehrseitigen Rechtsgeschäften sind die theoretisch und praktisch bedeutsamsten die Verträge. Der Leitbegriff ist damit das Rechtsgeschäft.

Das Rechtsgeschäft ist das Regelungsinstrument für privatautonomes Handeln. Wie der Gesetzgeber durch Gesetze Regelungen trifft, so tut dies das privatautonom agierende Rechtssubjekt durch Rechtsgeschäfte. Wie die Staatsverfassung Regeln setzt für die Gesetzgebung, so geschieht das für das rechtsgeschäftliche Handeln durch die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Rechtsgeschäfte. Das Rechtsgeschäft ist somit das Regelungshandeln des Rechtssubjekts, wie das Gesetz das Regelungshandeln des Gesetzgebers ist und der Verwaltungsakt das Regelungshandeln der Verwaltungsbehörde. Das Regelungssetzen des privatautonom handelnden Rechtssubjekts grenzt dieses aus dem sonstigen Verhalten des Rechtssubjekts aus, das, soweit es in den Blickwinkel des Rechts gerät, als sog. Realhandeln bezeichnet wird. Menschliches Verhalten erschöpft sich somit in Rechtsgeschäften und Realhandeln, wobei letzteres auch ein Unterlassen sein kann, wenn dieses dem positiven Tun rechtlich gleichgestellt ist.

Es macht Sinn, zum besseren Verständnis des Rechtsgeschäftsbegriffs die Analogie der Regelung durch Rechtsgeschäft zu der durch Verwaltungsakt oder durch Gesetzgebung zu ziehen. Dabei dürfen natürlich nicht die grundlegenden Unterschiede der verschiedenen Regelungssetzungsverfahren übersehen werden. Nicht nur bei der Auslegungsproblematik ergeben sich aus der Gegenüberstellung von staatlichen Regelungen und Rechtsgeschäften interessante und das Verständnis fördernde Erkenntnisse, gleichgültig ob dabei die Parallelität oder die Unterschiedlichkeit im Vordergrund steht.

Das Rechtsgeschäft grenzt sich aus dem menschlichen Verhalten in rechtlicher Sicht dadurch aus, dass es notwendig eine Willenserklärung enthält, wobei es für den Rechtsgeschäftsbegriff keinen Unterschied macht, ob sich das Rechtsgeschäft in der Willenserklärung erschöpft, ob es aus mehreren Willenserklärungen besteht, oder ob zur Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts noch weitere Voraussetzungen gegeben sein müssen. Die Einheit des Rechtsgeschäfts wird durch die dadurch gesetzte Regelung hergestellt. Die mehreren Willenserklärungen, die den Vertragsschluss herbeiführen, bilden zusammen ein Rechtsgeschäft, weil sie eine Regelung setzten. Die hier vorgestellten Begriffe sind also so aufeinander bezogen, dass Rechtsgeschäfte Regelungen privatautonom handelnder Rechtssubjekte sind, die mindestens eine Willenserklärung enthalten, während der Vertrag eine Art des Rechtsgeschäfts darstellt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass für die Rechtsgeschäftsart Vertrag mehrere Vertragspartner dergestalt zusammenwirken, dass sie übereinstimmende Willenserklärungen abgeben.


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